45. IAP Congress

Erfahrungsbericht zum 45. Kongress

der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Berlin

Vom 25. bis 28. Juli 07 fand unter dem Titel „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten in Psychoanalyse und Kultur heute“ der 45. Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) in Berlin statt. 

Georg Bruns hatte als Vorsitzender des Programmkomitees alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) eingeladen, da der Kongress die Geschichte und Entwicklung der Psychoanalyse in ihrer Gesamtheit, und hierbei insbesondere die Verfolgung durch das Naziregime und deren Auswirkung auf die Psychoanalyse, in den Mittelpunkt stellen wollte.

Mit fast 3.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt fand ein intensiver, teilweise sehr emotionaler und offener Austausch statt.

Die Hauptvorträge gaben den Rahmen für das Kongressthema vor und wurden schon vorab in der Psyche (Band 4, April 2007, 61. Jahrgang) veröffentlicht.

Werner Bohleber (Frankfurt/Main) sprach über „Erinnerung, Trauma und kollektives Gedächtnis – der Kampf um die Erinnerung in der Psychoanalyse“ und ging dabei auf die „vitale Bedeutung des gesellschaftlichen Diskurses über die historische Wahrheit für das betroffene Individuum und die Gesellschaft“ ein. In seinem Fazit setzte er sich dafür ein, „der Erinnerung wieder einen angemessenen Platz in der Psychoanalyse zu verschaffen“.

Norberto Carlos Marucco (Buenos Aires) ging in seinem Vortrag zum Thema „Zwischen Erinnerung und Schicksal: die Wiederholung“ auf die unbewussten, archaischen „verschütteten Erinnerungsspuren“ ein, die sich nicht durch Worte, sondern nur in der lebendigen Begegnung mit dem Analytiker wiederholen, beleben und verändern lassen.

Jonathan Lear (Chicago) beschrieb unter der Überschrift „Den Untergang einer Kultur durcharbeiten“, wie „eine Kultur die Probleme durcharbeitet, mit denen sie aufgrund einer drohenden Vernichtung konfrontiert ist“. Er beschrieb, wie die Crow-Indianer Träume und Traumdeutung kollektiv nutzten, um ein „neues Ich-Ideal zu entwickeln und herkömmliche Scham- und Demütigungszuweisungen auf diese Weise zu transformieren“.

In den Diskussionsgruppen nach den Hauptvorträgen, in den einzelnen kleineren Arbeitsgruppen und einer Großgruppe „Being in Berlin“ waren die Auswirkungen der traumatischen Erfahrungen der Nazi-Verfolgung und des Krieges, aber auch der Glorifizierung des Nationalsozialismus, sowie deren Tradierung bis in die dritte Generation hinein, ständig präsent und nicht beschwiegen, sondern authentisch angesprochen worden.

In ihrem Einleitungsvortrag spann Christa Wolf zum Thema „Nachdenken über den blinden Fleck“ einen weiten Bogen von antiken Mythen bis zu einem prophetischen Blick in die Zukunft. Sie fand in der Literatur eine „geronnene Erinnerung“, und sprach von „Gefühlen, die sich an die Erinnerung klammern“. „Zwischen dem Paradies und der Hölle befindet sich die Erinnerung und dazwischen das Vergessen“. Es gäbe aber auch einen „Erinnerungswahn“, der mit der „Mordgewalt“ einhergehe und eine „zerstörerische Wut, mit der sich die Widersprüche unserer Welt entladen“. „Wenn Gewalt die Erinnerung ausgelöscht hat und die Leerstellen den Menschen krank machen“, dann könne die Psychoanalyse hilfreich ansetzen, meinte Christa Wolf.

In den Vorträgen ging es denn auch um das Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten dieser Traumata in der Psychoanalyse auf beiden Seiten, für die/den Analysanden und die/den Analytiker/in und über die vielfältigen und kreativen Möglichkeiten dieses Verfahrens, auf die aus meiner Sicht besonders die lateinamerikanischen KollegInnen hinwiesen.

Der Vortrag von Isidor Kaminer (Frankfurt/Main) unter dem Titel „Dunkelgold – Leben im Schatten der Schoah“ berührte mich persönlich am meisten. Kaminer, Jahrgang 1946, in einem DP-Lager (Lager für staatenlose Menschen) bei München geboren, erzählte von seiner Kindheit in Israel und Deutschland, wie sein persönliches Leben überschattet war durch die Erfahrungen seiner Eltern im Konzentrationslager. „Der Schatten des Todes fiel auf ihr Ich“, aber „obwohl der Tod durch sie hindurch gegangen war, blieben sie lebende Seelen“. Kaminer sprach von der Liebe seiner Eltern für die Kinder, welche im krassen Gegensatz zu der kinderfeindlichen deutschen Umgebung stand. In Deutschland sah er sich konfrontiert mit einem „verbissenen Schweigen über etwas, was überall spürbar war“. Kaminer meinte, in der Generation der Kinder der Täter und Mitläufer den Schatten der Vernichtung zu erkennen. Schwarze Löcher, entstanden durch das Tot-Schweigen, die Angst einflössen und erneut Willkür und Kinderfeindlichkeit gebären. Zum Abschluss appellierte er an das Mitgefühl eines Gegenübers, welches die Trauernden bräuchten. Dieses Mitgefühl zeige sich nicht in steinernen Gedenktafeln, sondern im lebendigen Gedenken des Herzens.

Es ging aber nicht nur um die vergangenen Erfahrungen, sondern Gegenwart und die Zukunft der Psychoanalyse standen ebenfalls im Zentrum der Diskussionen. In kleineren Arbeitsgruppen stellten sich die verschiedenen Komitees der IPA/IPV vor, die auf Themen wie die Entwicklung der Psychoanalyse (abgekürzt PA) in China, PA in Lateinamerika, PA in der Türkei, PA in den Vereinten Nationen, PA und Politik, PA und Kultur und Psychoanalyse an der Universität eingingen.

Romulo Lander aus Venezuela berichtete sehr eindrücklich auf der Veranstaltung, in der sich das seit 1997 bestehende Komitee der PA in den Vereinten Nationen vorstellte, wie die Psychoanalytiker in seinem Land schon nicht mehr in der Lage seien, sich frei und öffentlich zu äußern. Eine bedrückende Erkenntnis, wie Diktatur und Tyrannei weiterhin wirksam sind und kritisches Denken, Toleranz und Mitmenschlichkeit behindern. Afaf Mahfouz (USA), Vorsitzende des Komitees, wollte denn auch die Situation in Venezuela in der UN einbringen. Das Komitee berät die UN auch bei Projekten zum Erlernen von Toleranz und Demokratie. 

Auch das kulturelle Begleitprogramm nahm die Kongress-Thematik auf. Zur Erinnerung an den 7. Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung im Jahre 1922 in Berlin im damaligen Haus des jüdischen Brüdervereins wurde in der Kurfürstenstr. 115/116 eine Gedenktafel mit dem Bildnis der Gradiva enthüllt (ein Foto der Gradiva, die die Dichtung verkörperte, hing über Freuds Arbeitsplatz).

Regine Lockott, Ludger Hermanns, Christfried Töpfel und Mitarbeiter hatten drei intensiv vorbereitete, ausführliche und berührende Stadtführungen zum Thema „Freud in Berlin“, „Emigration, Widerstand, Anpassung“ und „Psychoanalyse in Berlin“ ausgearbeitet.

Der zeitgenössische Komponist Prof. Dieter Schnebel hatte extra für den Kongress ein Stück komponiert, welches er denn auch „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten für Streichquartett und Stimmen“ nannte. Es wurde am 26.07.07 in der Universität der Künste vom Kairos Quartett welturaufgeführt.

Joachim Küchenhoff fasste in seinem beeindruckenden Vortrag „Die Zeit und der Andere im psychoanalytischen Prozeß“, die Intention des Kongressthemas gut zusammen. Ich möchte diesen im folgenden frei wiedergeben und damit enden:

In einer Erinnerung, in der die Gegenwart verdrängt und die gegenwärtigen Personen ausgeklammert werden, findet keine Entwicklung statt und wird die Zukunft zerstört. Die unbewusste Erinnerung ist zeitlos.

In der Psychoanalyse bietet der Therapeut/in durch seine Anwesenheit einen Raum, in dem durch die affektiv verarbeitete Gegenwart in der therapeutischen Beziehung eine zeitliche Strukturierung entsteht, in der Vergangenheit und Gegenwart voneinander getrennt und die Vergangenheit aus der Differenz betrachtet werden kann, so dass eine Entwicklung in die Zukunft möglich wird.

Diesen rechten Augenblick, auch Kairos genannt, den Moment der Begegnung zu finden, hilft, den blinden Fleck zu bewältigen und sehend zu werden.

 

Hamburg, den 11.08.07                            Dr. Isolde de Vries (DGIP)

Weitere Informationen sind zu finden unter:

www.ipa.org.uk

www.bpi-psa.de

Frankfurter Rundschau vom 30.07.07, S. 21: „Vergewisserung der eigenen Vergangenheit“ von Martin Altmeyer

Jüdische Allgemeine vom 02.08.07, S. 13: „Spannung aushalten“ von Ingo Way

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